"Refugees welcome" - warum Einwanderung unsere Kultur bereichert

 

Mittwoch, den 6. April 2016 um 19:30 Uhr

Internationale Kulturfabrik Kampnagel

Jarrestraße 20, 22303 Hamburg

 

Integration ist bekanntlich ein wechselseitiger Prozess. Dass Einwanderer Deutsch lernen, die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats anerkennen und unser Grundgesetz achten müssen – geschenkt! Aber auch die „Mehrheitsgesellschaft“ tut gut daran, sich anderen Kulturen zu öffnen. Wir meinen sogar: Darin liegt eine große Chance – allen Unkenrufen und Warnungen vor drohender „Überfremdung“ zum Trotz! Das Kulturforum lädt ein zur Podiumsdiskussion.

 

Es diskutierten:

Patrick Abozen, Schauspieler

Breschkai Ferhad, Kulturmanagerin

Prof. Dr. Wulf Köpke, Experte für interkulturelle Fragen bei der Akademie der Polizei

Mehmet Karaoğlu, Vorstandsvorsitzender des Bündnisses der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland

Musikalische Umrahmung: Adnan Pintul und Dieter Brumm

Moderation: Cornelie Sonntag-Wolgast, Kulturforum Hamburg

 

Bereits in ihrer Begrüssung machte Claudia Postel, stellv. Vorsitzende des Kultutforums Hamburg e.V., deutlich, dass Integration ein wechselseitiger Prozess ist und sich die "Mehrheitsgesellschaft" fremden Kulturen öffnen muss, damit sie gelingen kann. Das Thema der Podiumsdiskussion zielte eben in diese Richtung mit der Frage, was wir von Einwanderern, Flüchtlingen, Gastarbeitern, Menschen mit Migrationshintergrund etc. lernen können. Nach der negativen Berichterstattung in den letzten Monaten über die Flüchtlingsthematik wollte das Kulturforum Hamburg ein Signal setzen und die Diskussion von der Gegenseite aus betrachten: Wie und warum bereichert Migration unserer Kultur?

Fotos: Günther von der Kammer

Der Schauspieler Patrick Abozen berichtete zunächst von einem Theaterprojekt, das er mit Schülern der 5. Klassen an der Ida-Ehre Schule entwickelt hat. Im Rahmen einer Projektwoche schreiben sie gemeinsam ein Stück über die Flüchtlingssituation. Dabei kommen Schüler verschiedener Herkunft zusammen und arbeiten ganz unbefangen miteinander. Die ängstlichen Reaktionen, die die Menschen ihm als Kind deutsch-äthiopischer Eltern schon früh entgegenbrachten, seien bei den jungen Schülern noch nicht vorhanden. Damit benennt er auch gleich eines der Probleme: Angst aus Unwissenheit, die Vorurteile hervorbringt.

 

Breschkai Ferhad ist Koordinatorin der "Neuen Deutschen Organisationen". Dem Verband gehören etwa 100 Initiativen von in Deutschland geborenen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund an, die die deutsche Gesellschaft mit ihrer Kultur bereichern möchten. Sie möchten sich nicht mehr als Migranten bezeichnen lassen. Ihre Botschaft: "Wir gehören dazu und wollen mitreden. Denn Deutschsein ist heute nicht mehr von der Herkunft anhängig." (Zitat Homepage) Breschkai Ferhad möchte statt "Integrationspoiltik" lieber von "Gesellschaftspolitik" reden.  "Es muss in die Köpfe der Leute rein, dass diese Menschen dazugehören wollen!"

Auch sie benennt die Angst vor Unterschieden als ein Problem. Zeit, Vertrauen und Beruhigung sind Voraussetzungen für eine Annäherung. Desinformationen und Gerüchte führt Prof. Dr. Wulf Köpke als häufige Ursache der Angst an.

 

Mehmet Karaoğlu, erst seit wenigen Wochen Vorsitzender des Bündnisses Islamischer Gemeinden in Norddeutschland e.V. und ebenfalls Vorsitzender der Hamburger Centrum Moschee e.V., setzt sich in seiner neuen Rolle für die Koordination und Zusammenarbeit der islamischen Gemeinden ein. Zu den Aufgaben des Bündnisses gehören u.a. Angebote in der Bildungsarbeit und Fortbildungen für Lehrende oder die Organisation von Ausflügen.  Die Centrum Moschee ist  auch Anlaufstelle für viele hilfesuchende Einwanderer, denen im Rahmen der verfügbaren Mittel Zuflucht und Hilfe gewährt wird. Mehmet Karaoğlu kam im Alter von 12 Jahren als jüngster Sohn eines anatolischen Gastarbeiters nach Hamburg. Er ist als einziger seiner Familie in Deutschland geblieben und findet Begriffe wie „Gastarbeiter“, „Ausländer“ oder „Mensch mit Migrationshintergrund“ problematisch, denn sie sagen immer: "Du bist anders".

 

Prof. Dr. Wulf Köpke ist seit Februar 2016 Berater für interkulturelle Fragen bei der Akademie der Polizei Hamburg und hat dort die Gründung des Instituts für transkulturelle Kompetenz initiiert. Der Transfer ist für ihn das entscheidende Kriterium - von anderen Kulturen lernen und sich öffnen, aber die eigene Kultur behalten, so dass am Ende etwas Neues entsteht. Dabei sei es entscheidend, zuzuhören.

In der Arbeit mit Polizisten und Polizistinnen sei es wichtig, sie beim Umdenken zu unterstützen, denn durch ihre Arbeit haben sie oft mit den Schattenseiten und Problemfällen der Migration zu tun.

 

Welche Dinge können wir nun konkret von Einwanderern lernen, fragte Cornelie Sonntag-Wolgast die Podiumsteilnehmer.

Prof. Dr. Wulf Köpkes eindringlicher Appell: Wir müssen uns öffnen und erkennen, dass wir etwas lernen können.

Mehmet Karaoğlu nannte Mut und Willensstärke, denn das erfordere die beschwerliche und ungewisse Reise eines Flüchtlings. Von ihnen könnten wir  lernen, dass Zäune und Grenzen niemanden aufhalten können, der leben und etwas verändern will. Erst in der Begegnung mit Menschen in Not, mit Menschen die nichts mehr haben, würde uns wieder bewusst, wie gut es uns geht und dass Glück nichts Materielles ist.

Breschkai Ferhad machte darauf aufmerksam, dass wir die Flüchtlinge nicht immer aus einem defizitären Blickwinkel aus betrachten dürfen und sie nicht ständig mit dem Flüchtlingsthema konfrontieren sollten. Damit stecke man sie immer wieder in die Rolle des Opfers und führe ihnen das "Anderssein" vor Augen.

Prof. Dr. Wulf Köpke forderte die Mehrheitsgesellschaft auf, sich von ihrem Standpunkt, die überlegene Kultur zu sein, wegzubewegen.

 

Doch gibt es in Deutschland überhaupt die Bereitschaft, in einen Lernprozess zu treten?

Prof. Dr. Wulf Köpke ist verhalten positiv gestimmt, denn es würden sich sehr viele Menschen engagieren und Offenheit zeigen. Voraussetzung sei die  Bereitschaft zum Zuhören. Doch die Negativschlagzeilen nach der Silvesternacht hätten diese Bereitschaft eingetrübt.

Breschkai Ferhad ist dagegen skeptischer. Die Reaktionen nach Köln, Pegida und das Wahlergebnis der AfD machen ihr große Sorgen. Sie beobachtet eine zunehmende Aggressivität, die Stimmung sei eine andere geworden.

Ob die Silvesternacht in den islamischen Gemeinden thematisiert wurde, wollte Cornelie Sonntag-Wolgast von Mehmet Karaoğlu wissen. Er bejahte und gab an, dass er selber sehr verwundert war über diesen Stimmungswechsel. Mit Einwanderung und Flucht hätten die Vorfälle nichts zu tun gehabt. Trotzdem blickt er optimistisch in die Zukunft. Immerhin positioniert sich die Mehrheitsgesellschaft inzwischen gegen Anschläge auf Asylheime. In den 1990er Jahren war das noch anders, denkt man bspw. an den Brandanschlag in Solingen 1993. Die Mehrheit der Bevölkerung spreche sich für die Werte der Demokratie aus. Karaoğlu kritisiert aber, dass die Politik die Geflüchteten immer nur auf ihre Arbeitskraft reduziere.

 

Auch das Publikum brachte sich sich rege ein. Ein Teilnehmer nahm noch einmal Bezug auf die AfD-Wahlergebnisse in drei Bundesländern am 13. März und machte darauf aufmerksam, dass weniger die Menschen über 60 Jahre für die AfD gestimmt hätten als vielmehr die jüngere Generation. Diese Tendenz mache ihm Sorgen.

Eine andere Kritik bezog sich auf das Stück "Schiff der Träume", am Deutschen Schauspielhaus. Dies sei nicht der richtige Umgang mit der Flüchtlingsthematik.

Breschkai Ferhad reagierte darauf und kam noch einmal auf den in der vorangegangenen Diskussion gebrachten Begriff  "Projektitis" zu sprechen. Damit bezieht sie sich auf das überdimensionale Aufkommen von Projekten mit und für Flüchtlinge. Ihrer Meinung nach haben wir im Eifer des Engagements völlig vergessen, die Flüchtlinge zu fragen, ob sie das eigentlich wollen und wenn ja, was genau sie wollen? Sie plädierte für eine bessere Koordination der Projekte und dafür, Menschen mit Migrationshintergrund auch in Institutionen wie Universitäten und Theater zu holen. In ihren Augen braucht es ein Ministerium für Integrations- und Gesellschaftspolitik.

Auf die Frage, wie man es besser machen kann, antwortete Prof. Dr. Wulf Köpke: Reden und Vermitteln. Erfahrene Migranten und Migrantinnen, Muttersprachler, sollten deutsche Werte erklären. Er in seiner Rolle als Berater kann Anregungen und Hilfestellung geben. So animiert er die Polizisten und Polizistinnen zum Beispiel dazu, Einwanderer auch mal im "Normalzustand" außerhalb ihres Dienstes kennenzulernen. Auch würden kleinteiligere Unterkünfte die Kommunikation verbessern und eine Begegnung zulassen. Es sollte den Flüchtlingen ermöglicht werden, sich selber zu engagieren und eigene Projekte umzusetzen.

 

Fazit dieser Veranstaltung, kurz gefasst: Von anderen Kulturen lernen, Bescheidenheit, Offenheit, Kommunikation und Zuhören -  und etwas mehr Leichtigkeit im Umgang miteinander.

(Marita Landgraf)