Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in der Krise — was muss sich ändern?

am Dienstag, dem 25. Oktober 2022, 19.30 Uhr

in der Kulturfabrik Kampnagel, Jarrestraße 20

 

Auf dem Podium:

Christine Adelhardt, Leiterin Ressort Investigation beim NDR

Lukas Knauer, Vorstandsmitglied im DJV Nord, freier Mitarbeiter NDR Schleswig-Holstein

Christoph Lütgert, Journalist

Katja Marx, NDR-Programmdirektorin

Hansjörg Schmidt, MdHB, Mitglied im NDR-Landesrundfunkrat Hamburg

Dr. Hans-Ulrich Wagner, Leibniz-Institut für Medienforschung/Hans Bredow Institut

Moderation: Florian Zinnecker, DIE ZEIT

 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter Druck. Das ist eigentlich nichts Neues; Kritik, Zweifel, auch Angriffe kennt man aus der Vergangenheit. Diesmal allerdings haben die Vorgänge beim RBB und beim NDR, das Ausnutzen persönlicher Privilegien, Anzeichen für „Vetternwirtschaft“ auf den Führungsetagen, der Verdacht auf „politische Filter“ und ein „Klima der Angst“ den Gegnern der beitragsfinanzierten Medien Munition geliefert. Dabei ist in weiten Teilen der Gesellschaft unbestritten, dass ein Rundfunk, der gegen staatliche Eingriffe wie auch marktwirtschaftliches Gewinnstreben seine Unabhängigkeit bewahrt – so jedenfalls die Grundidee! - ein Stützpfeiler unserer Demokratie ist. Stoff genug zum Diskutieren!

Das Kulturforum Hamburg und der Deutsche Journalisten-Verband Nord laden ein.

Fotos Ibrahim Ott: Hans-Ulrich Wagners Einführung / Christoph Lütgert / Moderator Zinnecker / Katja Marx / Lukas Knauer / Hansjörg Schmidt / Christine Adelhardt / Die Podiumsgäste mit Cornelie Sonntag-Wolgast und Marina Friedt

 

„Nur Verrückte können das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem so erfinden, wie es jetzt ist.“ Mit dieser steilen These beginnt Christoph Lütgert, bekanntermaßen streitbarer ehemaliger Reporter des NDR, seine Beschreibung der Situation.

Eigentlich müssten Befristungen in den oberen Etagen eingeführt werden, und angesichts der wachsenden Anzahl befristeter Anstellungen bei journalistischen Mitarbeiter*innen sollte es durchaus mehr Aufmucken geben. Erstere würden soziale und Führungskompetenz so immer wieder neu unter Beweis stellen müssen, letztere die häufige Begründung, nur so sei ein abwechslungsreiches Programm erreichbar, durchaus widerlegen können.

Zuvor hatte Dr. Hans-Ulrich Wagner, Leibniz-Institut für Medienforschung (Hans-Bredow-Institut), knapp die durchaus komplizierte Entstehungsgeschichte unseres ö-r Rundfunks erläutert. Frei von parteipolitischem Einfluss sollte er sein, kein Staatsfunk also, nicht privatwirtschaftlichem Gewinnstreben unterworfen, durch Gebühren aller finanziert (nicht nur denen der jeweiligen Programmnutzer). Unterhaltung, Kultur, Bildung sowie gesellschaftliche und politische Information immer mit regionalen Bezügen soll bereitgestellt werden. Und das alles zu Kosten, die für den Einzelnen unterhalb derer eines Zeitungs-Abos bleiben, insgesamt aber eine gewaltige Milliarden-Summe darstellen. Das sei immer konfliktbeladen, wecke immer Begehrlichkeiten.

Danach bat Florian Zinnecker von der ZEIT auf die Bühne:

Die NDR-Programmdirektorin Katja Marx, den freien Mitarbeiter des NDR-S-H Lukas Knauer (zugleich Vorstandsmitglied des Deutschen Journalistenverbandes Nord), die Leiterin der Investigativ-Redaktion beim NDR Christine Adelhardt, das  Rundfunkratsmitglied Hansjörg Schmidt (MdHB, SPD), sowie Dr. H-U Wagner.

Das nachfolgende Podiumsgespräch kreiste zunächst um die Vorgänge im Landesfunkhaus Kiel (Schrecklich, es kam nichts von der Chefetage, so Knauer. Es bestand der Eindruck, dass kritische Berichterstattung unerwünscht ist, bemerkte  Adelhardt. Kiel hat zwei Jahre lang geschmort, ergänzte Marx. Hartnäckige Mitarbeiter haben es dann den Oberen abgerungen, so Adelhardt).

Dann kam die Rolle des Rundfunkrates ins Visier („Wir waren überrascht, wieviel an uns vorbei ging. Wir reden ja im Grunde nur mit den Oberen“, sagte Schmidt. Dem erwiderte Adelhardt, dass der Rundfunkrat ein Teil des Problems, nicht der Lösung sei, wenn die Mitglieder keine Zeit bzw. keine Ahnung haben. Schmidt stellte fest, dass der Rundfunkrat zwar die gesellschaftliche Vielfalt abbilden solle, nach der Qualifikation einzelner Mitgleiter aber weniger gefragt werde. Die Rolle der Rundfunkratsmitglieder könne aber nicht darin bestehen, den einzelnen Mitarbeiter*innen über die Schulter zu sehen, merkte Adelhardt an)

Schließlich kreiste die Diskussion um die Rolle der Investigativ-Journalisten bei Themen im eigenen Haus. Adelheidt stellte fest, dass ihr Team bei Recherchen im Haus keinerlei Restriktionen erfahren habe, wohl aber innere Abwehr bei der Spitze und Verunsichereung bei den Kolleg*innen. Knauer bemerkte selbstkritisch, dass journalistisches Selbstverständnis „laut nach außen“ aber auch umgekehrt gelte, die Kollegen müssten auch vernehmbar nach innen sein. Das erfordere Mut.

Zinnecker streifte abschließend noch die Gehaltsstrukturen der Häuser und hielt die Bezüge der Führungsebene für „üppig“. Marx bezeichnete das als schwierige Frage.

Aus dem Publikum – etwa 80 Menschen waren der Einladung des Kulturforums und des djv Nord gefolgt - kamen dann einige Statements und Fragen, auf die das Podium reagierte.

 

Gefragt für knappe Worte zu dem, was sich denn nun am ö-r. Rundfunk bzw. NDR ändern müsse, sagten

Dr. Wagner: mehr Transparenz zulassen

Adelhardt: radikal über Kosten und Strukturen sprechen

Schmidt: Schneller den Einstieg in die digitale Welt vollziehen

Marx: Mehr darüber reden, was wir gut machen

Knauer: „Das Beste am Norden“ bleiben.

Es war ein lebendiger und auch aus meiner Sicht sehr offener Austausch unter den Beteiligten, ein Markenzeichen der Kulturforums-Veranstaltungen im Übrigen.  Mein Eindruck ist, dass an den vielen Baustellen des ö-r NDR nicht erst heute lebendig diskutiert wird. Einen großen Wurf, eine Lösung aller Probleme in einem Kraftakt, wird es nicht geben können. Mit dem Rundfunkrat, der Organisation zur Vertretung der gesellschaftlichen Vielfalt im Programm, sollte sich das Kulturforum aber mal konkreter und intensiver befassen. (Gerhard Lein)