Wieviel Tourismus verträgt Hamburgs Kultur?

23. Januar 2019 um 19.30 Uhr

STAGE CLUB Hamburg, Stresemannstraße 163

 

Über die steigenden Tourismus-Zahlen freuen wir uns natürlich; zweifellos hat Hamburg an Anziehungskraft gewonnen. Zugleich wird darüber diskutiert, welche Rolle das Kulturangebot im Hamburger Tourismus spielt – und umgekehrt! Vor einigen Monaten stellte z.B. der Theatermacher Michael Batz fest, dass man den „Hamburger Jedermann“ in der Speicherstadt wegen des Getöses rundherum nicht mehr spielen könne. Debattiert wurde kürzlich auch über „Saaltouristen“ in der Elbphilharmonie, die während eines noch laufenden Konzerts ins Freie drängten. Zuweilen ist sogar von der „Ballermannisierung“ der Stadt die Rede.

Wie lässt sich über die Sogkraft der Elbphilharmonie und der Musicals hinaus das Interesse der Gäste am Kulturangebot der Stadt steigern? Ist es vielleicht auch Sache der Reiseveranstalter, die Sensibilität der BesucherInnen für künstlerische Darbietungen zu schärfen? 

Wir laden ein zur Podiumsdiskussion.

 

Es diskutieren:

Michael Batz (Autor und Künstler)

Dorothee Martin (tourismuspolitische Sprecherin der SPD-Bürgerschaftsfraktion)

Sascha Albertsen (Hamburg Tourismus GmbH)

Moderation: Daniel Kaiser (Leiter der Kulturredaktion von NDR 90,3)

Fotos: Gerhard Lein: Podiumsrunde mit Moderator Daniel Kaiser/Dorothee Martin, Sascha Albertsen/M. Batz, D. Martin, S. Albertsen

 

6,8 Millionen Besucher kamen im vergangenen Jahr nach Hamburg - im Vergleich zum Vorjahr ein Zuwachs von 3,7 %. Doch welche Auswirkungen hat das auf die Kulturlandschaft? 

Wieviel Tourismus verträgt Hamburgs Kultur? Kulturredakteur Daniel Kaiser (NDR 90,3) sprach mit den Gästen Dorothee Martin (tourismuspolitische Sprecherin der SPD- Bürgerschaftsfraktion), Michael Batz (Autor und Künstler ) und Sascha Albertsen (Leiter der Öffentlichkeitsarbeit für die  Hamburg Tourismus GmbH) . 

Michael Batz inszenierte 25 Jahre lang den Jedermann in der Speicherstadt. Im vergangenen 

Jahr hörte er auf. Der Grund: geräuschstarke Barkassenfahrten auf den Fleeten, vermehrt vermietete Partylocations oder auch ein Frequenzton der regelmäßig die Vorstellung sabotierte. Es wurde absurd, so der Theatermacher, als er von einem Touristen in der Speicherstadt gefragt wurde: "Wo ist denn hier das Weltkulturerbe?"

Sascha Albertsen sagt: "Wachstum ist wichtig für die Stadtentwicklung, doch nicht unsere alleinige Motivation und Zielsetzung für Hamburg". Man strebe vor allem eine hohe Lebensqualität für Touristen und Hamburger gleichermaßen an. Dorothee Martin möchte eine Unterscheidung zwischen Besuchern und Einwohnern gar nicht erst machen und freut sich über die Attraktivität Hamburgs, die viele Gäste anzieht. Problematisch seien die Großevents und Veranstaltungen, bei denen es im letzten Jahr leider zeitlich ungünstige Überschneidungen gegeben habe. Das bereite in den betroffenen Stadtvierteln Unbehagen. 

75 % der Hamburg-Besucher kommen aus Deutschland. Damit ist die Hansestadt international nicht so bekannt wie man denkt. In der Tourismussprache ausgedrückt: „Wir sind noch lange nicht dort, wo Barcelona ist“. Michael Batz nennt einen weiteren Aspekt: “Der Tourist von heute sucht nicht das Fremde, sondern möchte seine Vorstellungen erfüllt sehen. Am liebsten mag er an den Hafen, auf die Reeperbahn und dann noch ein kulturelles Highlight mitnehmen“. Doch Hamburgs Kultur sei eben viel diverser als ein Besuch im Musical oder in der Elphi. Der Künstler wünscht sich, dass „vom Ganzen geredet wird. Auch von den Gegensätzen und Spannungen, die die Energie einer Stadt ausmachen. Und natürlich von den vielen kleinen Spielstätten und Projekten aus der freien Szene.“ Eine Stadt müsse diese Vielfältigkeit aushalten, fördern und tragen können. „Es ist nicht die Realität, die Touristen anzieht, es sind die Mythen, die eine Stadt attraktiv und spannend machen.“

Sascha Albertsen spricht viel von dem neuen Bild Hamburgs angesichts des rasant gewachsenen Interesses seit der Eröffnung der Elbphilharmonie. 70.000 Medienveröffentlichungen in relevanten Tageszeitungen weltweit! Das ist auch eine Chance für den Tourismus, das Profil der Stadt neu herauszuarbeiten. "Hamburg ist viel mehr als der Hafen. Es ist eine Stadt auch mit Schwerpunkten bei Innovation, Wissenschaft und Forschung ", so Albertsen. „Und eine Musikstadt - die nun mehr denn je Liebhaber aus der ganzen Welt anzieht“. Dass es nicht nur Kenner sind, die das prominente Konzerthaus an der Elbe besuchen, wurde zuletzt beim Konzert des Startenors Jonas Kaufmann deutlich, das von Rufen durch vermutliche ’Saaltouristen’ unterbrochen wurde. „Zukünftig spezifischer prüfen, welche Kontingente an Reiseveranstalter herausgegeben werden, wäre eine Möglichkeit", sagt Dorothee Martin. Doch was kann man konkret tun, um Touristen, die für zwei bis drei Nächte in die Stadt kommen, zu sensibilisieren und ein „zweites Barcelona zu verhindern? Man habe die Airbnb Regeln verschärft; der Billigflieger Easyjet steuere Hamburg auch nicht mehr an, die freie Kulturszene hätte man im letzten Jahr stark gefördert und die 2012 eingeführte Tourismustaxe fließe vor allem in freie Kultur- und Theaterproduktionen", schließt sie ab.

Es meldet sich Renate Kammer, Galeristin, zu Wort. Sie spricht für die Bildende Kunst und benennt die prekäre Situation der Galerien, die in den Förderungen durch die Stadt kaum berücksichtigt würden. Dass in diesem Jahr 100 Jahre Bauhaus gefeiert wird und der Architektursommer Hamburg bereichert, wären speziellere Veranstaltungen die man auch an Touristen herantragen könne. Eine Wortmeldung aus dem Publikum, dass Gebäude auch eine Würde haben und man die Elbphilharmonie doch bitte nicht immerzu  Elphi nennen solle, lässt das interessierte Publikum zum Ende hin noch einmal schmunzeln, bevor die spannende Runde ihr Ende findet und die Stimmen der Kulturinteressierten im roten Licht des Stage Club verklingen. (Franziska Herrmann)