Kunst, Design, Gestaltung – gestern, heute und morgen

Dialog zwischen Prof. Tulga Beyerle (Direktorin MK&G) und Prof. Martin Köttering (Präsident HfbK)

am Dienstag, 5. Juli 2022, um 19.30 Uhr im Spiegelsaal des MK&G, Steintorplatz 1, 20099 Hamburg

 

Die Hochschule für bildende Künste (HfbK) ist historisch eng mit dem Museum für Kunst und Gewerbe (MK&G) verbunden. Aus der Gewerbeschule, damals 1877 mit Eröffnung im Gebäude des Museums zu Hause, entwickelte sich die Kunstgewerbeschule und später die HfbK. Beide Institutionen stehen vor großen Herausforderungen, da sie immer wieder neu abwägen müssen, welche Relevanz sie haben. Aber worin unterscheidet sich die HfbK, die täglich mit neuer Energie in die Zukunft aufbrechen will und „Avantgarde Sein“ für sich in Anspruch nimmt, von dem altehrwürdigen MK&G, das einerseits in der Verantwortung für die Sammlung steht und Historisches sichern muss, andererseits verpflichtet ist, sich stets aktuell den großen Fragen der Welt und einem sich verändernden Publikum zu stellen?

 

Es waren tausende von Besuchern, die am Dienstagabend dem vom Kulturforum organisierten Gespräch zwischen Prof. Tulga Beyerle (Direktorin des MK&G) und Prof. Martin Köttering (Präsident der HfbK) zuhörten. Zumindest wenn man den vielen Spiegeln des gleichnamigen prunkvoll goldverzierten Saals im Museum für Kunst und Gewerbe glaubt, in dem der Dialog stattfand!

 

Einst beherbergte das Museumsgebäude am Steintorplatz in Hamburgs Mitte auch eine Gewerbeschule, aus der sich dann die HfbK entwickelte. Mittlerweile ist die Kunsthochschule am Lerchenfeld in einem nicht minder beeindruckenden Gebäude untergebracht, das sich unter Fritz Schumacher geleistet wurde und nun „täglich von Studenten malträtiert wird“, schmunzelt der Präsident der Hochschule, Martin Köttering. „In Zeiten des Smartphones haben viele Jugendliche kein Gefühl mehr für Materialität, daher hätte ich hier im Museum gerne Werkstätten“, sagt die Direktorin des MK&G,Tulga Beyerle. Doch derzeit hapert es an der Finanzierung, und auch der nötige Platz müsse noch geschaffen werden. 

In der Ausbildung an der HfbK spielt Material eine große Rolle, Handwerklichkeit jedoch weniger, erzählt Köttering. Vielmehr geht es darum, Studenten mit eigenen künstlerischen Fragestellungen unter den rund 1600 Bewerbern zu finden. „Wer in dem Kunststudium an der HfbK ein Kursangebot mit künstlerischen Disziplinen erwartet, ist bei uns falsch und verlässt die Hochschule schnell wieder.“

Während das MK&G im Auftrag der Stadt eine breitere Bevölkerungsschicht ansprechen möchte, ermöglicht die Kunsthochschule ihren Studenten, durch ein sehr offenes Studienkonzept sehr spezifischen Interessen nachzugehen. „Auch bei den Dozenten suchen wir die zugespitzte künstlerische Position, an der sich die Student*innen abarbeiten können. Aber eben auch die pädagogische Einstellung, die Räume schafft, um sich auszuprobieren“.

 

Die Frage nach der täglichen Relevanz des Museums verdeutlicht Tulga Beyerle am ‚Freiraum‘. Das Konzept wird immer wieder an öffentlichen Orten ausprobiert und ist der Wunsch der Kulturszene, auch Menschen ins Museum zu bringen, die dort nicht sozialisiert wurden. Ob das funktioniert? Ja, sagt Beyerle. „Alte und einsame Menschen ohne Familienanbindung kommen vorbei und verbringen Zeit in dem offenen Angebotsraum, oder auch mal Reisende, die ihren Zug verpasst haben“. Sie sei vom ‚Freiraum‘ eher enttäuscht gewesen, meldet sich eine Stimme aus dem Publikum. Beyerle erklärt: „Er ist ein konsumfreier Ort und vielleicht der letzte in dieser Stadt. Er will nichts. Weder Sie entzücken noch erleuchten“. 

 

Zuletzt wird an diesem Abend der Antisemitismus-Eklat der diesjährigen Documenta angesprochen. Köttering betont die absolute Notwendigkeit, Verharmlosungen der NS- Vergangenheit zu vermeiden, kritisiert jedoch den Gedanken einer Kunstzensur, der von Regierungsseite als Reaktion kam. „Das überschreitet auch eine Grenze und zeigt, dass für die Kunstfreiheit gekämpft werden muss.“ Seiner Stellungnahme, die beide Standpunkte gleich gewichtet, folgt ein Zwischenapplaus aus dem voll besetzten Saal. In ihm schwingt Erleichterung mit. (Franziska Herrmann)