Grenzen der Kunstfreiheit?! – Preise und Provokationen
29. Mai 2018 um 19.30 Uhr im Stage Club
Stresemannstr. 163, 22769 Hamburg
Tel. 431 65 460
Kunst muss auch unbequem sein, provozieren, polarisieren.
Trotzdem gibt es manchmal Gründe, auch über die Grenzen der Kunstfreiheit zu diskutieren.
Zum Beispiel, wenn antisemitische Texte zum Verkaufshit werden. Die diesjährige Verleihung des
Echo-Preises hat wilde Proteste ausgelöst, reihenweise gaben Künstler ihre Auszeichnungen
zurück. Die Folge: den „Echo“ in seiner bisherigen Form wird es nicht mehr geben. Zuweilen
erzeugen künstlerische Projekte aber auch Streit, weil sich ihr Sinn nicht unmittelbar erschließt
oder weil manche Menschen darüber hadern, dass „für so was“ auch noch öffentliche Gelder
ausgegeben werden.
Auf dem Podium:
Boran Burchhardt, Künstler („Veddel vergolden“)
Niko Hüls, Geschäftsinhaber der Hip-Hop-Zeitschrift „Backspin“
Dr. Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray, Rapperin, Sprach-, Islam- und Genderforscherin
Seien Sie außerdem gespannt auf AJ aka REDCHILD, Profi-Musiker und Hip Hop Academy Künstler, und Lukas aka Globe Kid, die ihre Songs vorstellen!
Moderation: Dr. Andreas Moll, Fernseh- und Hörfunkjournalist
Fotos: Renate Kammer, Christian P. Schlichte
25 Grad, 19.30 Uhr, Stage Club Hamburg. Ungewohnte Hitze in der Stadt.
Die Beats dröhnen aus den Boxen im Stage Club. Das Publikum wischt sich dezent den Schweiß von der Stirn und wippt leicht mit dem Kopf zu "Danke an Rap", mit dem der junge Rapper Globe Kid von der Hip Hop Academy diesen Abend eröffnet. Anlass für die Podiumsdiskussion des Kulturforums Hamburg war der Eklat um die Vergabe des ECHO-Preises an die Rapper Fahrid Bang und Kollegah mit ihren antisemitischen Zeilen ("Mein Körper ist definierter als der von Auschwitz- Insassen"). Kommt Rap ohne Tabubrüche und menschenverachtende Texte aus?
Nach Artikel 5 des Grundgesetzes sind Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre frei. Dass Kunst auch unbequem sein, provozieren und polarisieren soll, ist unstrittig. Doch wie weit kann man dafür gehen? Und vor allem: Was genau soll mit antisemitischen oder frauenverachtenden Texten erreicht werden, außer die Provokation selbst?
Für den bildenden Künstler Boran Burchardt, der mit der Vergoldung einer Wohnhausfassade auf der Veddel ein umstrittenes Kunstwerk geschaffen hat und damit für Furore sorgte, sind Rap-Texte, die nur mit einer der im Rap üblichen Grenzüberschreitung spielen ('es geht darum, kunstvoll zu sagen: ich bin besser als du‘) „eine Frage des Geschmacks. Und schlechter Geschmack ist nicht unbedingt Kunst."
Er selbst "wusste nicht, wie ihm geschah" als seine Intention, einen anderen, positiven Blick auf die Veddel zu lenken - weg von den üblichen Zuschreibungen als Problemstadtteil - vielfach kritische Reaktionen wie ’in Kunst gegossener Hohn gegenüber den hilfsbedürftigen Menschen dieser Stadt‘ auslösten. Zunächst auch in dieser Runde von einigen Gästen missverstanden, erklärt er sich und fragt weiter: "Was hat Kunst mit gutem Geschmack zu tun?"
Dr. Reyhan Sahin, selbst als Lady Bitch Ray mit pornographischen Texten Provokateurin der deutschen Hip Hop-Szene, findet "Kunst dann gut, wenn sie provoziert". Über das verachtende Frauenbild in der Szene rege sich seit Jahren jedoch niemand auf. Niko Hüls, Geschäftsführer der Zeitschrift „Backspin“, spricht von der ’moralischen Grenze einer Gesellschaft, die im ECHO-Eklat überschritten wurde,’jedoch immer auch im Kontext gesehen werden müsse. Dass im Rap teilweise siebensilbig gereimt wird und dass auch ein Herr Goethe oder Schiller damit ihre Schwierigkeiten gehabt hätten, sorgte für heiteres Gelächter beim doch eher der Literatur zugewandten Publikum. Immer wieder wird vom Kontext gesprochen, wenn es um die Zeilen geht, die schließlich zur Abschaffung des ECHO-Preises führten. Doch soll man derart menschenverachtende Texte überhaupt einzuordnen versuchen - und somit ja auch abmildern? Sie treiben einen schrecklichen Zeitgeist auf die Spitze, benennt es Moderator Andreas Moll. „Aber die weiße Mittelschicht findet Gefallen am aggressiven Hip Hop“, wird gekontert.
Man merkt der Szene an, wie sie in sich selbst gefangen ist ,so der der Rapper Redchild nach der Abschluss-Performance seines melancholischen Songs "Warten auf den Regen".
„Don‘ t hate the player, hate the game“ (Hasse nicht den Spieler, hasse das Spiel).
(Franziska Herrmann)
Abschluss-Performance des Rappers Redchild, Foto: Christian P. Schlichte