„Hate Speech“ – die Verrohung der Kommunikation im Netz 

30. Januar 2017 um 19.30 Uhr

 

Dr. Susanne Gaschke,“Welt-Autorin“

Dr. Barbara Hans, Chefredakteurin „Spiegel-Online“

Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung

Jörg Nabert, Medienanwalt

Thorsten Schäfer-Gümbel, Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie

Gesprächsleitung: Kai-Hinrich Renner (Medienjournalist) 

 

Fotos: Günther von der Kammer

Woher kommt dieser unfassbare, unbändige Hass, der sich aktuell insbesondere im Internet Raum verschafft? Und muss Hate-Speech in einer Demokratie toleriert werden? Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, benennt Hass in ihrem Einführungsvortrag als eines der größten Themen unserer Zeit. Sie spricht dabei nicht zuletzt aus der Position einer Betroffenen. Die Amadeu Antonio Stiftung, die sich für eine demokratische Kultur und gegen Rechtsextremismus engagiert, hat die aktuelle Hasswelle unmittelbar zu spüren bekommen. Auf die Herausgabe einer Broschüre, die sich gegen die Online-Hetztiraden gegenüber Flüchtlingen aussprach, folgten ein regelrechter Shit-Storm und eine Flut von Hassmails. Der Hass, der sich dabei Bann bricht, hat in den letzten Jahren, wie sich auch an diesem Beispiel zeigt, seine Ausrucksformen geändert. Von direkten Angriffen auf Migranten und Flüchtlinge verlagert er sich zunehmend auf die Frage, wer schuld daran ist, dass sie gekommen sind. Dabei wird versucht, die Gesellschaft zu polarisieren und zu spalten. Initiativen wie die Amadeu Antonio Stiftung, die gegen Rechtsextremismus vorgehen oder wie die Gruppe ‚Korrektiv’, die Fake News, also bewusst gestreute falsche Nachrichten enttarnen, werden als Internet-Stasi oder Wahrheitsministerium beschimpft.

Wer hat nun zu verantworten, dass ein derartiger Hass geschürt wird, der noch dazu so präsent in die Öffentlichkeit dringen kann? Das Internet? Facebook, Internet oder Twitter? Und vor allem – inwieweit kann und soll man hier eingreifen?

Das Internet, so Anetta Kahane, wird zunehmend von Rechtsradikalen instrumentalisiert. Wichtig ist, dass auch wir als Gegenpartie uns die neuen Medien zunutze machen. Genauso wichtig ist allerdings ebenfalls, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist, sondern auch Gesetzen unterworfen wird. Das ist laut Jörg Nabert tatsächlich bereits der Fall. Es gibt Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die sich speziell der Kriminalität im Internet widmen. Problematisch ist jedoch, dass Täter ihre Daten verschlüsseln können. Deshalb wäre es wichtig, dass man zivilrechtlich eingreift und dass Beleidigungen besonders in den Social-Media-Kanälen gelöscht werden. Auch Thorsten Schäfer-Gümbel ist der Druck auf die Plattformanbieter nicht hoch genug. Gleichzeitig formuliert er, dass das gesellschaftliche Grundphänomen ‚Hass’ schon vor dem Internet da war. Neu ist die Anonymität, mit der online mit wenig Aufwand kommentiert werden kann. Zu verzeichnen ist also ein enormer Abbau von Hemmschwellen.

 

Auch Barbara Hans sieht ein Problem darin, dass soziale Netzwerke eine ‚Blase’ bilden, die sich selbst verstärkt. Schwierig ist es, in der Debattenkultur, die im Netz stattfindet, die Balance zwischen Zensur und Niveau zu halten. Susanne Gaschke attestiert dem Hass darüber hinaus eine neue Qualität. Die zahlreichen Kommentare, die heute innerhalb kürzester Zeit etwa als Reaktion auf einen journalistischen Artikel erscheinen, hat nichts mit den punktuellen brieflichen Kommentaren zu tun, die man früher kannte. Gleichzeitig stellt sie die Frage, warum es im Internet das Recht auf Anonymität geben muss. Sollte man nicht vielmehr Verantwortung übernehmen müssen für das, was man veröffentlicht?

 

Leider, so Jörg Nabert, sind solche Ansätze international nicht durchsetzbar. Jedoch würden Plattformen, würde man sie wirtschaftlich in die Mangel nehmen, sicherlich sehr schnell Druck auf ihre Nutzer ausüben. Anetta Kahane findet es bedeutend wichtiger, nach den Ursachen eines zunehmenden Rassismus zu suchen. Und auch für Susanna Gaschke hat das Internet einen Verstärkereffekt für ein bereits seit langem existentes Problem. Besonders überraschend ist dabei, so Barbara Hans, dass es bei aller Anonymität auch immer wieder Menschen gibt, die unter vollem Namen und mit einem eindeutig gut gebildeten Hintergrund ausgestattet, Hassmails schreiben. Hass ist also gesellschaftsfähig geworden und hat sein Image gewandelt.

 

Der Anteil der Menschen mit einem geschlossen rechtsradikalen Weltbild liegt, so Thorsten Schäfer-Gümbel, seit Jahren bei zwischen 15 und 25 Prozent. Die schnellen Veränderungen im Zuge der Modernisierung  wie z.B.  gleichgeschlechtliche Ehen, aber auch Verlustängste sieht er als Gründe dafür, dass solche Haltungen stärker hervortreten. Das Internet sei daran nicht schuld, doch trage es durch die Faktoren Geschwindigkeit, Abbau der Hemmschwellen und Verbreitungsgrad maßgeblich seinen Teil bei. Dienstleistungsanbieter im Netz müssten deshalb Verantwortung übernehmen. Anetta Kahane führt diesen Gedanken weiter: man müsse vor allem auch Lehrer und Kinder intensiver auf die heutige Kommunikationswelt vorbereiten und damit den Weg bahnen für eine digitale Zivilgesellschaft.

 

Gerade in Zeiten, in denen ein US-Präsident die Hate Speech salonfähig macht, kommt jedoch nicht nur schulischen Institutionen eine aufklärerische Rolle zu. Auch und insbesondere Medienvertreter müssen auf einem schmalen Grat wandeln. Denn es gilt, darin sind sich beide Journalistinnen in der Runde einig, einen Mittelweg zu finden zwischen der Verstärkung von Trumps Botschaften, indem man sie abdruckt, und dem Bedürfnis, seine Aussagen plausibel zu widerlegen und damit zu entkräften.

 

Trump führt uns vor, dass Twitter-Follower reichen, um in der Öffentlichkeit durchzudringen. So kann ein moderner Präsident Recherche, kritische Bewertungen und Nachhaken durch die Medien umgehen. Susanne Gaschke sieht dies als neue Herausforderung für ihre Berufskollegen: „Man muss uns glauben, deshalb muss unsere Arbeit sehr gut sein!“ Und Barbara Hans ergänzt, man müsse wieder mehr vor Ort und bei den Menschen sein. Denn: „vielleicht haben wir am Anfang der Flüchtlingswelle nicht genug über die unterschiedlichen Probleme berichtet“.

 

Ein positiv gefärbtes Ende findet die Runde: trotz vieler offener Fragen hat das Gespräch ebenso viele interessante Denkanstöße gegeben. Und fünf Gäste auf das Podium geholt, die sich einig zu sein scheinen, dass man etwas verändern kann. (Anne Simone Krüger)