„Sind die Medien mit schuld am Aufstieg der AFD? Und: Wie umgehen mit den Rechtspopulisten im Bundestag?“
Mittwoch, den 29.11.2017 um 19 Uhr
Internationale Kulturfabrik Kampnagel, Jarrestraße 20, 22303 Hamburg
Mit über 90 Abgeordneten ist die AFD im neuen Bundestag vertreten. Mittlerweile fragen sich manche Kommentatoren, ob ihre Zunft mit beigetragen haben könnte zum Aufstieg der Partei. Zuviel Augenmerk auf unsägliche Zitate während des Wahlkampfs, zu viele Einladungen zu Talk-Shows? „Man muss sie wahrnehmen, ja – aber muss man über jedes Stöckchen springen, das ihre Protagonisten uns hinhalten?“ Nun hat der parlamentarische Alltag begonnen, und der Journalismus steht vor der schwierigen Aufgabe, sich mit den erstarkten Rechtspopulisten auseinanderzusetzen. Mit Gelassenheit oder Empörung, je nach Anlass? Das Kulturforum lud ein zur Diskussion:
Thesen zum Thema:
Stefan Endter (Geschäftsführer des DJV Hamburg, Rechtsanwalt)
Auf dem Podium:
Prof. Rainer Burchard (freier Journalist, ehem. DLF-Chefredakteur)
Luc Jochimsen (Journalistin, Politikerin)
Mariam Lau (politische Korrespondentin im Hauptstadtbüro der ZEIT)
Prof. Dr. Volker Lilienthal (Inhaber der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg)
Moderation: Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (Kulturforum Hamburg)
Fotos: Ibrahim Ot
Die Rechte ist mit über 90 Abgeordneten im Bundestag vertreten, ihre Wähler sind mit 12,7 Prozent der Stimmen nicht länger die „Abgehängten“ der Gesellschaft. Haben die Medien dies Ergebnis mit verschuldet, und wie führen wir künftig den Diskurs mit den Rechtspopulisten? Darüber diskutierten am 29.November 2017 auf Kampnagel Prof. Rainer Burchardt (freier Journalist/ehemals DLF-Chefredakteur), Luc Jochimsen (Politikerin/Journalistin/Soziologin), Mariam Lau (ZEIT), Cordula Meyer (Der Spiegel) und Prof. Dr. Volker Lilienthal (Rudolf Augstein Stiftung für Qualitätsjournalismus). Eingeladen hatten das Kulturforum und der DJV Hamburg.
„Aufregungsjournalismus“ als Antwort auf eine Partei, die auf Tabubruch setzt, sei nicht das Richtige, so Stefan Endter, DJV-Geschäftsführer, in seiner Einleitung vor zahlreichen Besuchern. Aber wie sehen die Journalisten selbst ihre Verantwortung für das Wahlergebnis? „Die Verantwortlichkeiten sind gut geteilt“, so Lilienthal. „Wir tragen eine Teilschuld, hatten jedoch keine Wahl wegen der Themensetzung der AFD“(Lau). „Wir wurden instrumentalisiert“(Burchardt). Cordula Meyer findet, dass der Fragestellung ein falsches Selbstverständnis der Medien zu Grunde liegt. Nach Luc Jochimsens Ansicht dienen Medien nur als Verstärker, sie greifen bereits vorhandene Strömungen auf. Allerdings komme es auf das „Wie“ in der Berichterstattung und Kommentierung an.
Der Vorwurf, dass die Journalisten überdimensional viel über die AFD geschrieben und gesendet, passt nicht zusammen mit deren Gefühl, von der Entwicklung „kalt erwischt“ worden zu sein. Darf der Journalismus das überhaupt – sich kalt erwischen lassen? Sollte er nicht so intensiv recherchiert haben und vor-informiert sein, dass er auch kleinste Bewegungen in der Gesellschaft wahrnimmt, ja sogar erahnt? Lilienthal wiegelt ab: Dies könne nicht einmal die Wissenschaft. Er sieht aber im Verlauf des Wahlkampfs ein „professionelles Versagen“ der Medienlandschaft.
Mit der Öffnung ins Publikum nahm die Diskussion mit zahlreichen Wortmeldungen eine interessante Wendung. Die Rollenerwartungen an den Journalismus klaffen weit auseinander. Soll der Journalismus das Volk erziehen, damit es „richtig“ denkt (Frage aus dem Publikum)? Oder sollen die Medien nur abbilden, was ist? Mariam Lau sieht ihre Aufgabe darin, mit Interesse zu beschreiben. Hinter der AFD stünden auch Ansichten, die man ernst nehmen müsse. Einig waren sich die Beteiligten darin, dass die Medienvertreter heraus müssten aus ihrer „links-liberalen Blase“ und, wie Moderatorin Cornelie Sonntag-Wolgast Sigmar Gabriel zitierte, „auch mal dorthin gehen müssten, wo es stinkt.“ Betroffen zeigte sich die Hamburger Kolumnistin Peggy Parnass in ihrer Wortmeldung. „Dies ist also das Land, in das so gerne geflüchtet wird!“
So viele Meinungen an diesem lebhaften Abend auch geäußert wurden – der Konsens, den wir im Umgang mit der unschönen Realität brauchen, entsteht nur dann, wenn wir miteinander sprechen. Das ist Demokratie. (Franziska Herrmann)
Foto: Ibrahim Ot
Prof. Dr. Volker Lilienthal, Mariam Lau, Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast, Luc Jochimsen, Prof. Rainer Burchard, Stefan Endter