Tanz bewegt Hamburg - Potentiale und Perspektiven
am 8. März 2017 um 19 Uhr
Kulturfabrik Kampnagel. Jarrestr. 20. 22303 Hamburg
Dr. Kerstin Evert, Leiterin K 3 – Zentrum für Choreographie/Tanzplan Hamburg
John Neumeier, Ballettintendant und Chefchoreograf des Hamburg Ballett
Madeline Ritter, Geschäftsführung Diehl+Ritter/Projektleitung Tanzfonds Erbe und Dance On, Berlin
Gesprächsleitung: Dr. Dorion Weickmann, Redakteurin der Zeitschrift „tanz“ und Tanzkritikerin, u.a. für die „Süddeutsche Zeitung“
Ist Hamburg eine Tanzstadt? Die Voraussetzungen wären gegeben. Seit 40 Jahren leitet John Neumeier, Ehrenbürger der Stadt Hamburg und mit zahlreichen Preisen für seine Leistungen ausgezeichnet, das Hamburger Ballett und bietet Vorstellungen im Weltformat. Neben dem klassischen Programm lassen sich in Hamburg aber auch zeitgenössischer Tanz oder Performance studieren. Spätestens seit Hans in’t Veld sind sie fester Bestandteil der Kulturfabrik Kampnagel, die eine reiche Bühne für internationale Tanz-Projekte bietet. Und das innovative Projekt K3, Zentrum für Choreographie, prägt die Tanzlandschaft seit nunmehr 10 Jahren mit. Gerade nach der Eröffnung der Elbphilharmonie, die aktuell alle Aufmerksamkeit auf die Musik lenkt, ist die Frage höchst interessant, wie die führenden Köpfe der Szene die Potentiale und Möglichkeiten Hamburgs in dieser Kultursparte sehen.
Dass Hamburg das Potential zu einer Tanzstadt hat, darin sind sich die Podiumsgäste einig. Aus Berliner Sicht, so Madeline Ritter, gehen von Hamburg vor allem auch Impulse aus. Der Tanzplan z.B. wurde als Konzept in Hamburg erdacht. Einig sind sich jedoch auch alle, dass es Vieles zu verbessern gilt. Zwei zentrale Problempunkte kristallisieren sich im Laufe des Gesprächs heraus. Der eine ist die Nachwuchsförderung. Dort müsse man, so Dr. Kerstin Evert, an den Strukturen und an einer Kontinuität arbeiten, die den jungen Tänzern auch nach dem Ende einer Förderung Perspektiven eröffnet und sie auf ihrem Weg weiter unterstützt. Madeline Ritter sieht in dem Fehlen nachhaltiger Fördersysteme ein bundesweites Problem. Ein zentraler Aspekt ist für sie auch die Frage, wie sich eine ganze Compagnie an ein Haus binden lässt. Wer zahlt hierfür, wie lassen sich entsprechende Fördermittel generieren? Sinnvoll wäre ihrer Meinung nach ein Dreiklang aus Stadt, Land und Bund.
Fotos: Günther von der Kammer
Das zweite große Thema ist das Problem der Sichtbarkeit. Gerade Nachwuchstänzer können sich nur dann beim Publikum bekannt machen, wenn sie sichtbar sind- also Auftrittsmöglichkeiten haben. Diese Präsenz im öffentlichen Bewusstsein wird momentan auch dadurch vermindert, dass Kritikplätze in Zeitungen wegfallen. Nach Kerstin Everts Einschätzung ist der Tanz dadurch gezwungen, auf alternative Medien auszuweichen. Als Beispiel nennt sie YouTube, das jedoch einen enormen Personalaufwand erfordere, da man sich diversifizieren müsse, um in der Masse der online gestellten Videos nicht unterzugehen. Zeitgenössischer Tanz ist für den Rezipienten im ersten Moment oftmals sperrig. Es gelte, die Hemmschwelle der Zuschauer abzubauen, was ohne die Unterstützung durch die öffentlichen Medien noch problematischer werde. Früher gab es Tanz sogar im Fernsehen. John Neumeier erhielt in den siebziger Jahren die Goldene Kamera für die Episoden seiner Ballettwerkstatt, die im NDR ausgestrahlt wurden. Heute dagegen kann man von einer solchen Kooperation mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen nur noch träumen.
Noch einmal zurück zu den finanziellen Aspekten: Sogar John Neumeier gesteht, dass er sich neben seiner Position als Choreograph vor allem als Kämpfer sehe. Der Erfolg bringe zwar Publikum, aber sobald alles funktioniere, werde erwartet, dass man das Gleiche doch auch mit weniger Budget erreichen könne, was absoluter Unsinn sei. Er stellt die berechtigte Frage, warum nicht einmal jemand zu ihm komme und ihn frage, was er sich eigentlich wünsche und womit man sein Ballett unterstützen könne. Madeline Ritter sieht es angebracht, unter Einbeziehung der Politik immer wieder gemeinsam zu überlegen, was im Moment gebraucht wird. Und gebraucht wird, das hat sich in der Diskussion gezeigt, einiges. Dazu gehört, neben der finanziellen und medialen Unterstützung, ganz dringend auch das Bewusstsein dafür, dass die Tanztradition in Deutschland ein nationales Erbe ist, welches es zu sichern gilt.
Am Ende geht die Runde mit dem Entschluss auseinander, in Zukunft regelmäßig über Schnittstellen und Synergien gemeinsam zu beraten und Wege zu suchen, dass die Menschen in Hamburg mehr Tanz sehen können – damit sie aus der Vielfalt der Hamburger Tanzszene schöpfen und sich an einem Abend ein klassisches Ballett, am nächsten zeitgenössischen Tanz oder eine Performance anschauen.
(Anne Simone Krüger)