Generationswechsel am Ernst Deutsch Theater
Gespräch mit Ayla Yeginer, Daniel Schütter und Isabella Vértes-Schütter
am Dienstag, 30. September 2025 um 19.30 Uhr im neugestalteten Foyer des Theaters,
Friedrich-Schütter-Platz 1, 22087 Hamburg
Hamburgs Theater starten in die neue Saison mit vielen personellen Veränderungen. Den Staatsopern-Chef Tobias Kratzer haben wir Ihnen schon im Frühjahr im Podiumsgespräch vorgestellt, ebenso die Thalia-Chefin Sonja Anders. Auch im Ernst Deutsch Theater gibt es einen Wechsel: Dr. Isabella Vértes-Schütter vertraut nach 30 Jahren Intendanz die Leitung ihrem Sohn Daniel an – man könnte also sagen: „Es bleibt in der Familie“…! Daniel Schütter (Jahrgang 1990, Schauspieler, Musiker und Synchronsprecher) leitet von nun an Deutschlands größtes Privattheater gemeinsam mit Ayla Yeginer (Jahrgang 1983, hat Wirtschaftswissenschaften studiert, dann Erfahrungen in der Presse-Arbeit, Regie und Dramaturgie gesammelt).
Beide wollen wir persönlich kennenlernen, zudem mit der bisherigen Intendantin Isabella Vértes-Schütter (Bürgerschaftsabgeordnete, Vorstandsmitglied des Kulturforums) ihre Epoche als Bühnenchefin und Darstellerin Revue passieren lassen. Kontinuität und Veränderung – was tut sich im Haus an der Mundsburg?
Moderation: Peter Helling (NDR 90,3)
Fotos Christian P. Schlichte: Ayla Yeginer / Moderator Peter Helling / Daniel Schütter / Isabelle Vértes-Schütter / Cornelie Sonntag-Wolgast im Gespräch mit dem Publikum / Ayla mit Baby
Wer die Treppe zum Foyer des Ernst Deutsch Theaters herabsteigt, ist sofort erstaunt und freut sich an der Neugestaltung des Raums – moderner, einladend zum Kennenlernen und Diskutieren. „Total cool“ findet es auch die bisherige Hausherrin Isabella Vértes-Schütter. Vor rund 50 Kulturforums-Gästen debattiert sie mit ihrem Nachfolge-Duo Ayla Yeginer und ihrem Sohn Daniel Schütter über Arbeitsweise und künstlerische Schwerpunkte des Hauses an der Mundsburg. Durch den Abend führt souverän und sachkundig Peter Helling (NDR). Wie schwer ihr der Führungswechsel gefallen sei, will der erst einmal wissen. Gegenrede. Die scheidende Chefin findet es „wunderbar“, das Zepter übergeben zu haben. Dies sei der richtige Zeitpunkt. „Da kommen Menschen mit guten Ideen. Wer nicht auf Neues aus ist, ist im Theater fehl am Platz.“ Ayla Yeginer, regie-erfahren und mehrfach für ihre Arbeiten ausgezeichnet, ergänzt: „Und wer keine Lust auf politische Auseinandersetzungen auf der Bühne hat, ist ebenfalls fehl am Platz.“ Daniel Schütter schildert, wie er zunächst jahrelang Musik gemacht habe und plötzlich „große Lust aufs Theater“ verspürte. Die Auseinandersetzung um die Flüchtlingsproblematik im Jahr 2025 hat ihn sehr beschäftigt, der Rechtsruck in der Gesellschaft treibt ihn um, „was steckt soziologisch dahinter, und wie setzt man sich damit auseinander?“
Isabella betont die starke antifaschistische Tradition des Ernst Deutsch Theaters „Ein Motiv für die Gründung damals war der Wille, die Verbrechen der NS-Diktatur nie wieder geschehen zu lassen – und dieses weiterzugeben an die nächsten Generationen.“ Ihr Credo: „Auf der Bühne geht es darum, die Welt besser und schöner zu machen und etwas für den Zusammenhalt zu tun. Theater ist die sozialste Kunstform überhaupt.“ Und Ayla ruft dazu auf, sich kritisch mit aktuellen Entwicklungen und Verhaltensweisen auseinanderzusetzen: der Digitalisierung, dem Drang zum schnellen Reagieren. „Kunst hat demgegenüber den Auftrag, sich mit etwas auseinanderzusetzen, auch ohne Hast.“ Daniel versteht das Theater als „Begegnungshaus“, als ein Gegenmodell zum Diskurs in den Social Media – und sieht sich in der Pflicht, die Spaltung der Gesellschaft zu bekämpfen. „Wir sind dazu da, Missstände aufzugreifen und Fragen zu stellen.“ Die Problematik werde in Büchners 200 Jahre altem Drama „Dantons Tod“ (der Eröffnungspremiere dieser Saison) durchaus aktuell sichtbar.
Wie denn die Rollenverteilung im neuen Führungsteam praktiziert werde, will Moderator Peter Helling wissen. „Wir arbeiten an Kommunikationsstrukturen, und wir werden im ‚Change-Prozess‘ auch unterstützt“. Beide sehen die Herausforderung, Menschen für ihr künstlerisches Angebot zu interessieren und die Chancen wahrzunehmen, die das Theater dafür bietet. Damit verbunden ist der Wille, vertraute Stücke so zu zeigen, dass sie auch junge Leute ansprechen. Anders als früher entscheiden sich Menschen sehr kurzfristig, ob sie ein Stück anschauen wollen. Das macht die Planung nicht einfacher. Fazit: „Theaterarbeit ist ein Marathon – keine Kurzstrecke“. Dennoch: Dieser Diskussionsabend mit gespannt zuhörenden und am Ende interessiert nachfragenden Gästen vermittelte Aufbruchstimmung, Lust und Empathie. Gern hörte man nebenher leise Töne eines Kleinkindes - Ayla Yeginer hatte ihr Baby mitgebracht. „Das Schönste am Theater: es ist ein lokales Erlebnis!“ (Daniel Schütter). Wohl wahr. Auch wenn nicht gespielt, sondern „nur“ geredet wird. (Cornelie Sonntag-Wolgast)