Rückblick und Visionen – Hubertus Gaßner zieht Bilanz

Donnerstag, den 12. Mai 2016 um 19.30 Uhr, Hamburger Kunsthalle

 

Nach über zehn Jahren wird Prof. Dr. Hubertus Gaßner, Direktor der Hamburger Kunsthalle, im kommenden Herbst in den Ruhestand gehen. An seine Stelle rückt zum 1. Oktober 2017 Prof. Dr. Christoph Vogtherr, der seit fünf Jahren Direktor der Londoner Wallace Collection ist. Gaßner hinterlässt ein von Grund auf saniertes Haus und auch für dieses Jahr ein attraktives Ausstellungsprogramm (nächster Höhepunkt „Manet - Sehen. Der Blick der Moderne“). Für das Kulturforum Hamburg war dies Anlass genug, um zu einem Kunsthallenbesuch mit Diskussion einzuladen: "Rückblick und Visionen – Hubertus Gaßner zieht Bilanz im Gespräch mit Katja Engler, Kulturredakteurin beim Hamburger Abendblatt, und mit dem Publikum."

Die Einladung des Kulturforums Hamburg zu einer Führung durch die frisch renovierten Räume der Hamburger Kunsthalle konnten etwa 75 Personen in Anspruch nehmen, obgleich die Nachfrage weitaus größer war. Auch die anschließende Diskussion im neuen Werner-Otto-Saal war überaus gut besucht.

Fotos: Günther von der Kammer

 

Katja Engler eröffnete das Gespräch mit der Frage nach den 12 zusätzlichen Arbeiten von Max Beckmann, Dauerleihgaben aus dem Nachlass Peter und Maja Beckmann, die seit dem Umbau in den Sälen der Klassischen Moderne präsentiert werden. Sie wollte wissen, ob dies direkt mit den Umbau- und Modernisierungsarbeiten der Kunsthalle, vor allem auch der Depots zu tun hatte. Hubertus Gaßner verneinte einen unmittelbaren Zusammenhang, denn der Kontakt zu den Beckmann-Erben begann schon unter dem letzten Direktor Uwe Schneede. Den Leihvorgang selbst hat Dr. Karin Schick, Leiterin der Sammlung Klassische Moderne, in die Wege geleitet.

 

Hubertus Gaßner kann mit dem, was er erreicht hat, zufrieden sein. Auf die Frage, wie er sich eine Woche nach der Neueröffnung fühle, antwortete er: "etwas müde, aber prima". Rückblickend konnte er seine Vorstellungen und Ideen verwirklichen, hatte dazu auch die entsprechenden Finanzen zur Verfügung und aufmerksame Besucher.

Dass gegenwärtig  circa 40 % der Besucher unter 30 Jahren sind, führt Gaßner auf den freien Eintritt zurück, der den gesamten Eröffnungsmonat über gilt. In diesem Zusammenhang betonte er noch einmal die Wichtigkeit von freiem Museumseintritt, um mehr jungen Menschen den Zugang zu kultureller Bildung zu ermöglichen. Diese Vision konnte er bisher nur temporär umsetzen.

Die Renovierung der Kunsthalle sei auch aus ökonomischen Gründen wichtig gewesen. Die Sammlung ist das Herzstück des Museums und sie muss attraktiv bleiben, damit sie entsprechende Aufmerksamkeit durch Besucher und Leihgeber erfährt.

Katja Engler: Welchen Herausforderungen muss sich das Museum im digitalen Zeitalter stellen? Einer Ära, in der die visuelle Kultur und die visuellen Kommunikationsmittel dominant sind. Muss sich das Museum verändern? Muss sich ständig alles ändern? Hubertus Gaßner umreißt die Folgen dieser Veränderungen so: Die Kunsthalle, eigentlich ein Museum, hat sich in ein Ausstellungshaus verwandelt, das die Aufmerksamkeit der Besucher durch eine hohe Zahl an Wechselausstellungen aufrecht erhalten will. Auch Vermittlung und Unterhaltung sind heute ein wichtiger Aufgabenbereich des Museums. Doch das Museum bleibt für ihn weiter eine ästhetische Erziehungsanstalt. Es zählt  die Qualität der Kunst, die zu sehen ist.

Auf die Frage, ob das Begleitprogramm der Hamburger Kunsthalle mehr Besucher ins Museum locke, macht Gaßner noch einmal klar, dass die Kunst im Fokus steht. "Wenn man reingeht, muss man Kunst sehen." Das ist nun durch die neue Eingangssituation wieder gewährleistet.

Die Amtszeit Hubertus Gaßners fällt in einer Phase gravierender Einschnitte, wie beispielsweise der Finanzkrise, die sich auch auf die finanzielle Situation von Museen auswirkte. Konsequenzen waren strikte Sparmaßnamen, weniger staatliche Fördermittel oder die Umwandlung von Museen zu Stiftungen. Welche Konsequenzen aber hatte das konkret für die Hamburger Kunsthalle?

Durch die Umwandlung der Kunsthalle von einer staatlichen Institution in eine private Stiftung, ist die Akquise von zusätzlichen Fördermitteln existenziell geworden. Die Stadt Hamburg gewährt zwar einen jährlichen Zuschuss von 10 Mio., doch die Hälfte des Betrages geht allein für die Miete weg. Mit der Finanzkrise ist auch das Engagement von Sponsoren (von privat, Industrie und Stiftungen) zurückgegangen, berichtete Gaßner. Diese würden mittlerweile lieber in soziale Projekte investieren, um ihr Image aufzupolieren. Auch das Stiftungskapital bringt aufgrund der niedrigen Zinsen geringere Erträge. Er äußerte große Besorgnis für die zukünftige Entwicklung.

Katja Engler wollte daraufhin wissen, wie er die Einrichtung des zentralen Ausstellungsfonds der Hamburger Museumsstiftungen bewertet. Dieser ist mit einem jährlichen Gesamtbudget von 2 Mio. Euro ausgestattet und bietet den Museen die Möglichkeit, Mittel für außergewöhnliche Ausstellungen, deren Finanzierung nicht abgesichert ist, zu beantragen. Hubertus Gaßner findet das großartig, denn die Grundfinanzierung sei in allen Museen schecht und mit diesem Geld, was natürlich noch keine sichere Einnahme darstellt, werde die Finanzierung von Sonderausstellungen ermöglicht. Die Hamburger Kunsthalle erhält 200.000 Euro aus dem Ausstellungsfonds, etwa ausreichend für eine Sonderschau.

 

Sammeln, Bewahren und Forschen sind die Hauptaufgaben eines Museums. Sind diese mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln noch umsetzbar?

Laut Gaßner geht es allen drei Bereichen in der Kunsthalle nicht schlecht. Doch um zu sammeln, muss man ankaufen. Die Kunsthalle hat aber keinen eigenen Ankaufsetat. Glücklicherweise gibt es das Engagement der Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen, die Gelder für Ankäufe einwirbt, ebenso Stiftungen die weitere Gelder für die Forschung  und Restaurierung zur Verfügung stellen. Ohne Drittmittel und Gelder aus der Wirtschaft wären diese Aufgaben nicht mehr umsetzbar.

Aber bringt diese Abhängigkeit auch Probleme, zum Beispiel bei der inhaltlichen Freiheit von Ausstellungen, fragte Katja Engler nach? Hubertus Gaßner hatte bisher nichts zu beklagen.

 

Die Digitalisierung der Sammlungsbestände ist ein weiteres Hauptthema der Hamburger Kunsthalle. Hat der Museumsbesuch noch Zukunft, wenn man die Bilder auf dem Bildschirm überall großziehen kann? Hubertus Gaßner setzt immer noch auf das Erlebnis vor dem Original. Der Mensch muss zu den Bildern kommen, und alles im Museum richtet sich danach aus: Wo ist das Museum? Spricht es mich an? Wie ist der Service vor Ort, das Essen, die Lautstärke, das Angebot an Führungen etc.? Der Ort, das Gebäude und die Aufenthaltsqualität sind ungemein wichtig, was auch ein Grund für die Sanierung war.

Das Museum bietet immer noch eine völlig andere Bildkultur und Kommunikationssituation, die sich stark von der alltäglichen digitalen Bildverarbeitung unterscheidet. Das betrachtet Hubertus Gaßner als Chance für das Museum und das "altmodische" Original. Im Museum steht dieses im Vordergrund, ohne Kommentierung und Multimediaeinsatz. Trotzdem weiß er um die Wichtigkeit der "digital communities". Online-Angebote für unterschiedliche Besuchergruppen bringen neue Leute ins Museum. Die Hamburger Kunsthalle ist offen für diese Entwicklungen im Sinne der Vor- und Nachbereitung, aber eher konservativ im Erleben.

 

Im Zuge der Neueröffnung ist die chronologische Unterfinanzierung der Kunsthalle in den Hintergrund gerückt, stellte Katja Engler fest. Wie findet der Dialog mit der Politik dazu statt? Momentan seien die Probleme nicht so groß, erklärte Hubertus Gaßner. Letztes Jahr hat die Kunsthalle sogar Gewinn gemacht und den nächsten vier Jahren sieht er mit leichtem Optimismus entgegen. Aber er betonte noch einmal, dass Sponsoring nicht die Zukunft sein könne. Entweder die Kunsthalle ist zukünftig wieder 100 % staatlich oder 100 % privat, aber nicht halb und halb wie heute.

 

Eine Vision, die Hubertus Gaßner nicht umsetzen konnte, war die Idee einer "verrückten" Fußgängerbrücke vom Ballindamm zum Platteau der Kunsthalle, um die Insellage zu optimieren und den Ballindamm wieder als Flaniermeile zu beleben. Nun muss man drei Ampeln überqueren, um zur Kunst zu gelangen.

 

Welche Vorstellungen der scheidende Direktor vom Ruhstand habe? Eine herrliche mit tatsächlicher Ruhe. Gaßner möchte ein halbes Jahr mit seiner Frau in Italien verbringen, um dort zu malen, Bücher zu schreiben und Rosen zu schneiden. Doch er hat noch so manches Projekt im Kopf: Publikationen, die er noch vollenden möchte, Ideen für Ausstellungen. Und er strebt an, das Malerhandwerk zu erlernen. Der genaue Lebensort ist noch offen.

Ob er noch einmal Museumsdirektor werden würde? Auf Katja Englers Frage folgte nicht gleich eine Antwort. Er trat das Amt damals mit der Idee an, "wenn man Direktor ist, ist man frei". Doch es ist das genaue Gegenteil gewesen: "man ist absoluter Sklave des Kalenders", was zum Teil auch der ökonomischen Situation des Hauses geschuldet ist. Die Antwort tendierte also mehr zu einem "Nein", aber toll war es trotzdem, meint er schließlich. Zum Ende des Gesprächs dankte Hubertus Gaßner noch seiner Frau, dass sie ihn in den letzen 40 Jahre so unterstützt hat.

 

Der erste Beitragende aus dem Publikum erkundigte sich nach der Unterstützung durch den Freundeskreis der Kunsthalle, der über 18.000 Mitglieder hat. Hubertus Gaßner beschreibt die Zusammenarbeit als eine gute, die ihm viel Vergnügen bereitet hat. Der Vorsitzende des Vereins,  Ekkehard Nümann, wurde am 12. Mai 2016 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse für sein Engagement ausgezeichnet.

 

Was der Weg sei, um junge Leute, allen voran Schüler, für Kunst zu begeistern, wollte eine 16-jährige Schülerin wissen. Nur wenn man selber eine Leidenschaft für die Kunst hegt, kann man das auch vermitteln. Wenn man das gut macht, dann bekommt man auch etwas zurück, so Gaßners Erfahrung. Dieser unmittelbare Austausch habe ihm immer Spaß gemacht.

 

Katja Engler sellte eine kritische Frage zur großzügigen Unterstützung des Umbaus durch die Dorit und Alexander-Otto-Stiftung in Höhe von 15 Millionen. Es ist anzunehmen, dass der Unternehmer Alexander Otto mit seinem Engagement auch politische und ökonomische Interessen verfolgt, zumal seine Firma ECE, die Einkaufszentren baut, die Planung und Bauleitung des Kunsthallenumbaus übernahm. Frech fragte Engler: Kann man sagen, Alexander Otto habe sich das Wohlwollen der Politik unter dem Mäntelchen der Kunst erkauft? Am Anfang gab es kritische Stimmen, räumt Hubertus Gaßner ein, aber er hatte Vertrauen zur Familie Otto und will über die zukünftigen Pläne nichts wissen. Wichtig war ihm aber, dass ein unabhängiger Architekt mit dem Umbau betraut wird und die Otto-Firma ECE sich in ästhetische Dinge nicht eingemischt, was sie auch nie tat.

 

Eine weiterer Diskussionsteilnehmer stellte fest, dass der Geschäftsführerposten und die Stiftungsräte mittlerweile immer stärker würden gegenüber dem Direktorenamt, vor allem wegen der knappen finanziellen Mittel. War die Wahl des Stiftungsmodells für die Hamburger Kunsthalle die richtige Entscheidung? Hubertus Gaßner sieht dieses Phänomen als schwierige Entwicklung an, zumal nach der 2010 beschlossen Museumsreform gleich vier Vertreter der Kulturbehörde im Stiftungsrat der Kunsthalle sitzen und somit eine strukturelle Mehrheit besitzen. Diese Struktur sei bedenklich. Eine weitere Folge ist, dass es immer eine Übereinstimmung zwischen Direktor, Geschäftsführer und Stiftungsrat geben müsse, keine leiche Aufgabe. Laut Gaßner kann es aber auch nicht die Lösung sein, dass sich die Kunsthalle wieder in eine Behörde zurückentwickelt, denn diese haben schließlich auch nicht mehr Geld. Im Grossen und Ganzen gab es aber eine gute Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten.

 

Die Publikumsdiskussion fand ihren Abschluß mit der Wortmeldung einer freien Mitarbeiterin aus dem Bereich der Vermittlung. Sie merkte an, dass ihre Arbeit durch die Renovierung nun eingeschränkt sei, da sie mit Kindern und Jugendlichen zum Beispiel nicht mehr mit Wachskreiden in der Sammlung arbeiten dürfe. Hubertus Gaßner drückte noch einmal seine Wertschätzung für die Abteilung Bildung und Vermittlung aus, konnte zu diesem Fall aber keine Auskunft geben. (Marita Landgraf)

 

Hamburger Kunsthalle

Glockengießerwall, 20095 Hamburg